Seite 1 von 1

Medikation als traumatische Erfahrung

Verfasst: 05.04.2016 20:55
von Esperanza
Übersetzung von: Charles L. Whitfield, Psychiatric Drugs as Agents of Trauma
erschienen in: International Journal of Risk and Safety in Medicine 22 (2010) 195-207

http://api.ning.com/files/pZzle5EfYAxuI ... Trauma.pdf


Hallo liebes Forum,

dieser Text ist ziemlich lang und hat mich einige Mühe und Zeit gekostet, aber das, was der Arzt da schreibt, ist wirklich interessant und vieles davon dürften wir alle (schmerzlich) selbst erlebt haben.

Viele Grüße
Esperanza :)


---------------------------------

Psychopharmaka als Trauma-verursachende Stoffe

Charles L. Whitfield (u.a. Privatpraxis für Traumapsychologie, Psychiatrie und Suchtmedizin, Berater und wissenschaftlicher Mitarbeiter des Centers for Disease Control and Prevention, Atlanta, USA). Dieser Artikel erschien 2010 im International Journal of Risk and Safety in Medicine, Vol. 22, No. 4

Studienthema: Basierend auf den Arbeiten zahlreicher Psychiater und Psychopharmakologen und basierend auf meinen eigenen Beobachtungen, beschreibe ich hier, inwiefern die meisten Psychopharmaka nicht nur giftig sind, sondern auch chronisch traumatisch wirken können.
Weiteres zur Definition traumatisch folgt detailliert in dieser Schrift.

Ich habe diese Beobachtungen nicht nur bei zahlreichen meiner Patienten in den letzten 20 Jahren gemacht, sondern zudem noch neun Ärzte betreut, die im psychiatrischen Bereich gearbeitet haben und ebenfalls Langzeit-Antidepressivaanwender waren. Von diesen Neun erlebten Sieben (=77%) besorgniserregende toxische Medikamentenwirkungen und bei Zweien (=22%) hat sich der Zustand im Vergleich zur Zeit vor der Medikamenteneinnahme definitiv verschlechtert.
Aufgrund meiner Erfahrungen und der Erfahrung Anderer beschreibe ich die Entstehung dieser Gesundheitsverschlechterung, die ich „Medikamenten-Stress-Trauma-Syndrom“ (Drug Stress Trauma Syndrome DSTS) nenne.
Diese Medikamentenwirkungen können das Leben eines Menschen derartig schädigen, dass man sie nicht länger als trivial oder unwichtig ansehen kann. Die Gruppe der Betroffenen mag klein sein, aber signifikant.
Diese Medikamentenwirkungen sind derartig schädlich für die Lebensqualität der Menschen, dass sie traumatische Züge annehmen können und somit Traumaauslöser sind. Diese Beobachtungen und die vorläufige Datenlage soll Andere ermutigen, sich mit dieser Materie intensiver auseinander zu setzen.

Einführung
Ein Trauma kann einfach, komplex oder etwas dazwischen sein. In seiner einfachen Form kann es eine schwere körperliche Verletzung, zum Beispiel von einem Unfall, Gewaltverbrechen oder manchmal einer Droge / einem Medikament oder einem medizinischen Eingriff sein.
Neben dem Körper kann ein psychisches Trauma aus einem Ereignis resultieren, welches großen Stress oder eine emotionale Wunde verursacht und somit zu einer psychischen Verletzung führt.
Auch Drogen / Medikamente oder medizinische Eingriffe können ein seelisches Trauma auslösen. Oft wird das körperliche Trauma von einem seelischen begleitet.

Traumata könne Folgen von Naturkatastrophen wie Erdbeben, Feuer, Überschwemmung, Wirbelstürmen und Hurricanes sein, die oft Tod, Zerstörung und Verlust der Existenzgrundlage mit sich bringen. Dies sind üblicherweise Einzelereignisse, die weniger komplex sind als die verwirrenden und komplizierten Traumata, die beispielsweise durch Kindesmisshandlung oder –vernachlässigung, sexuellem Missbrauch, seelischer oder körperlicher Gewalt, Mobbing, häuslicher Gewalt oder dem Zeuge-werden solcher Misshandlungen, oder Kriegserfahrungen entstehen.
Jedes dieser Traumata kann zu einer der drei Hauptvarianten von Post-Traumatischer-Behandlungs-Störung (PTBS, im Englischen: PTSD) führen. Darunter fallen die klassische, die komplexe und die subvariante PTBS.
In diesem Artikel füge ich eine vierte Variante hinzu, die ich „Drug Stress Trauma Syndrome“ (DSTS) nenne.
Ich beschreibe, wie Psychopharmaka als traumatisierende Stoffe auftreten können und den Zustand eines Patienten verschlimmern können.
Vielen Menschen geht es schlechter, wenn sie ein Psychopharmakon (und später meist noch weitere) einnehmen und ihre Lebensqualität verschlechtert sich.
Als erstes erscheint es mir sinnvoll, Psychopharmaka im Vergleich mit illegalen Drogen anhand ihrer Risiken und Toxizität einzuordnen.


Illegale Drogen und ihre Toxizität

(Anm. der Übersetzerin: das englische „toxicity“ scheint mehr zu umfasssen als nur die körperliche Giftigkeit, sondern auch andere schädliche Wirkungen, Folgen, damit zusammenhängende Probleme etc.)
Illegale Drogen haben oft schädliche Wirkungen auf unseren Körper und den Geist. Alleine der Besitz wird in zahlreichen Ländern rechtlich geahndet. Ich arbeite seit 1974 im Bereich der Suchtmedizin und seit 1980 im psychiatrischen Bereich und sortiere die illegalen Rauschmittel nach der Reihenfolge ihrer Schädlichkeit und Gefährlichkeit ein.

An erster Stelle kommt Phencyclidin (PCP / „Angel Dust“), danach Amphetamine und Methamphetamine. An dritter Stelle steht das Kokain, ein weiteres Stimulans, ähnlich den anderen Amphetaminen, aber mit weitaus geringerer Halbwertzeit. Das Vierte ist das Heroin, ein dem Morphium ähnlichen Schmerzmittel, und andere Opioide, allesamt mit verschiedenen schädlichen Wirkungen. An Platz fünf folgen psychedelische Substanzen (fälschlicherweise Halluzinogene genannt) und schließlich, an Rang sechs, Cannabis (Marihuana), das wahrscheinlich am meisten gebrauchte Rauschmittel mit den schädlichen Wirkungen wie Über-Beruhigung oder „dumbing down“ (in etwa „Verdummung“), was im Übrigen die meisten legalen und illegalen Drogen / Medikamente ebenso verursachen, außerdem Lungenreizungen / -schäden und Abhängigkeit / Sucht und Entzugserscheinungen.
Aber nicht nur die Drogen selbst, auch ihre Illegalität, Art der Verabreichung (orale Aufnahme, schniefen, rauchen oder injizieren) und der damit verbundene Lebensstil tragen zur weiteren Schädlichkeit bei.
So schädlich diese sechs Rauschmittel auch sein mögen, nicht zu sprechen von ihren Gefahren, wenn man das große Ganze betrachtet, so sind es die legalen Suchtmittel wie Alkohol und Nikotin, die in den USA jährlich eine halbe Million Menschen behindern und töten, 25 Mal mehr als alle illegalen Drogen zusammen.


Legale Drogen / Medikamente: Wie können Psychopharmaka jemandes Zustand verschlimmern?

Nur weil ein Medikament legal ist und beispielsweise von der FDA (amerikanische Arzneimittelbehörde) oder anderen Behörden weltweit genehmigt worden ist, oder weil man dieses Medikament über das medizinische Establishment (Ärzte, Schwestern, Apotheker) beziehen kann, bedeutet das nicht, dass es weniger schädlich ist als die oben genannten illegalen Drogen. Tatsächlich gibt es einige legale Psychopharmaka, die genauso schädlich sind oder sogar noch schlimmer.

Der Psychiater und Psycho-Pharmakologe Peter Breggin schrieb im Jahr 2008: “Normalerweise verwenden die Menschen Alkohol, Marijuana und andere nicht verschreibungsfähige Substanzten, um ihre Gefühle zu vernebeln. Gewöhnlich führen sie sich dabei nicht selber hinter`s Licht und glauben, sie könnten damit ihre Hirnfunktion oder mentale Leistungsfähigkeit verbessern. Aber wenn die Menschen Psychopharmaka nehmen, glauben sie, es würde funktionieren und begreifen nicht, dass das Medikament auf eine Weise arbeitet und funktioniert, die mit einer Störung der Hirnfunktion eingeht, Entzugserscheinungen verursacht und letztlich zu gefährlichen und zerstörerischen Handlungsweisen führt.“
(Zitat von mir)

Im Jahr 1999 überprüfte Hollister im Zuge der Ereignisse, die auf die Veröffentlichung Shusters „Chronischer Gebrauch von Psychopharmaka“ aus dem Jahr 1961 folgten, dessen Thesen und kam zu dem Schluss:
1. Die Substanz stört das physiologische Gleichgewicht eines Organsystems aufgrund von Effekten auf Enzyme, Neurotransmitter, Rezeptoren und second Messengers.
2. Um dies auszugleichen, erhöht der Körper deren Menge. Somit kann eine Toleranz entstehen.
3. Um den gewünschten Effekt des Medikaments beizubehalten, muss die Dosis erhöht werden, um die kompensatorische Leistung des Körpers auszugleichen.
4. Diese erhöhte Dosis wird nun wieder vom Körper ausgeglichen usw.
5. Wenn die Substanz entzogen wird, bleiben die Überkompensationsmechanismen des Körpers ohne Gegenspieler und führen zu einer Entzugsreaktion, die meist konträr zu den Symptomen und Zeichen ausfällt, die das Medikament ursprünglich bewirken sollte (körperliche Abhängigkeit).

Hollister schrieb: „Dieses Erklärungsmuster wurde ursprünglich eingeführt, um den Vorgang des missbräuchlichen Drogenkonsums zu erklären, der ja ebenfalls „psychische (psychologische / neurologische) Abhängigkeit“ erzeugen kann.
Tatsächlich kann man dieses Schema auf eine ganze Reihe weiterer Substanzen übertragen…. Es ist seit langem anerkannt, dass Entzugserscheinungen innerhalb der Medikamentenklassen variieren können.
1964 klassifizierte die Weltgesundheitsorganisation WHO Entzugssymptome auf folgende Art und Weise: Barbiturat-Alkohol-Typ, Opiattyp und Stimulanzientyp. Diese Klassifikation wird immer noch angewendet und könnte nun auf andere Medikamente ausgeweitet werden, die üblicherweise nicht missbräuchlich verwendet werden, die aber dennoch die Funktion des ZNS verändern, zum Beispiel Antidepressiva und Antipsychotika.
Bei diesen Psychopharmaka sind Absetzsymptome nicht erwartet worden und äußern sich subtiler; man dachte nicht, dass psychische Abhängigkeit würde auftreten können. Wir können schlussfolgern, dass jedes Medikament, das die normale Physiologie, Biochemie oder Genexpression stört, die Voraussetzung für solch eine Reaktion schaffen kann.“
(Zitat von mir)

Ebenfalls im Jahr 1999 beschrieben die Psychiater und Psycho-Pharmakologen David Healy und Richerd Tranter Reaktionen auf die Einnahme von Psychopharmaka, inklusive deren Entzug als „Syndrome von pharmakologischer Stressdiathese“.
Sie schrieben: „Neuere Beschreibungen von zum Teil lange anhaltenden Absetzsymptomen nach Antidepressiva- und Antipsychotikaeinnahme fordern sowohl allgemein bekannte als auch wissenschaftliche Modelle von Sucht und Medikamentenabhängigkeit heraus. Die mögliche Abhängigkeit von Antidepressiva und Antipsychotika zwingt uns, mögliche prädisponierende konstitutionelle und persönliche Faktoren beim Patienten herauszuarbeiten, pharmakologische Risikofaktoren beim Medikament selber zu untersuchen und Aspekte der therapeutischen Ausführung miteinzubeziehen, welche zu einer Entstehung eines Stresssyndroms führen können.
Die Stresssyndrome bei Antipsychotikaeinnahme verweisen auf die wahrscheinliche Existenz einer ganzen Reihe an Syndromen, die während einer Behandlung auftreten können. Deren Charakteristika müssen untersucht und etabliert werden.“
Meine Rede.

In ähnlicher Art und Weise bezeichneten die Psycho-Pharmakologen Ross Baldessarini und AC Vignera diese Psychopharmakaeffekte als „pharmakologischen Stress, iatrogenen pharmakologischen Stress und absetz-assoziierten Medikamentenstress“.
Wenn ich nun die Psychopharmaka auf ähnliche Art und Weise anordne wie die oben genannten Rauschmittel, komme ich zu folgendem Ergebnis: an Platz eins stehen die Antipsychotika, die derartig schädlich und beeinträchtigend sind, dass man bei ihrer Anwendung mit verfrühtem Tod rechnen muss.
Es folgen auf Rang zwei die Antidepressiva, die ähnlich schädlich wie die Antipsychotika sind und mit einer erhöhten Rate an Selbstmordversuchen und vollendetem Selbstmord, ebenso wie Mord, einhergehen (verglichen mit Placebo). An dritter Stelle kommen die Stimulanzien vom Methylphenidat- (Ritalin®) und Amphetamin-Typ, worunter fast alle existierenden Stimulanzien fallen. Auf Rang vier befinden sich die Benzodiazepin-Beruhigungsmittel (Benzos), deren Hauptschädlichkeit in übermäßiger Beruhigung und Betäubung liegt und die für die die meisten Menschen den mit Abstand schmerzlichsten Entzug verglichen mit allen anderen illegalen Rauschdrogen und Psychopharmaka verursachen können. Schließlich kommen an fünfter Stelle die Antikonvulsiva, die man clevererweise aus Vermarktungsgründen als „Stimmungsstabilisatoren“ bezeichnet, die aber wenig mit Stimmung zu tun haben und üblicherweise zahlreiche negativen Effekte haben sowie einen peinvollen Entzug verursachen.

Zusammengefasst ergibt sich folgende Übersicht:
Charakteristika von illegalen Drogen und legalen Psychopharmaka
Illegale Rauschmittel
Überdosis von schädlichen Effekte auf Körper und Geist
Organschäden bei Dauergebrauch
Verflachung von mentalen und sozialen Funktionen sowie des Selbstwertgefühls
Rechtliche Konsequenzen

Ranking der schädlichsten Stoffe: Phencyclidin, Amphetamin, Kokain, Heroin, Psychedelika, Cannabis

Die legalen Drogen Alkohol und Nikotin schädigen und töten 25 Mal mehr Menschen als all die o.g. Drogen zusammen
Legale Substanzen (Psychopharmaka)

Organschäden bei Dauergebrauch (z.B. durch Übergewicht, Diabetes, Nerven- und Hirnschäden, Demenz, Depression, Angst, Zittern)
Verflachung von mentalen und sozialen Funktionen sowie des Selbstwertgefühls
Forcierte Medikamenteneinnahme durch Krankenhaus, Staat und Justiz

Der Entzug ist störend und unangenehm und fügt dem Menschen, aber auch der Umgebung, erheblichen Schaden zu; oft fehldiagnostiziert
Akathisie plus minus Entzugs-Akathisie führt zu Suizid und Mord (Akathisie ist das zwanghafte sich-bewegen-müssen, z.B. die Unfähigkeit, still sitzen zu bleiben)
Sowohl bei legalen als auch illegalen Stoffen tritt vermehrt Gewalt auf
Das abgestempelt Werden als psychisch krank führt zu Angst, Scham, Diskriminierung und Isolation.


Drug Stress Trauma Syndrome (DSTS)

In den letzten 20 Jahren sind mir zahlreiche Patienten begegnet, die zwischen fünf und 20 verschiedene Psychopharmaka nahmen (oder genommen hatten) und denen es trotzdem längerfristig nicht besser ging. Vielen dieser Menschen ging es mit den Medikamenten sogar noch schlechter als ohne. Ich begann, ein Schema zu entdecken, in welchem sich bei einer kleinen, aber bestimmten Gruppe von Patienten ein Teufelskreis entwickelte.
Ich beobachtete, dass die Medikamenteneinnahme oft unangenehme Folgen hatte, zu keinen Verbesserungen führte und sich nachteilig auf die geistige Gesundheit, Beziehungen und das Verhalten der Menschen auswirkte. Es ging ihnen schlechter als vor der Medikation. So kam ich auf die Idee, das Konzept des Drug Stress Trauma Syndromes zu entwickeln.


Entstehung des DSTS
Die Person betritt das Gesundheitssystem mit einem oder mehreren psychischen oder psychiatrischen Symptomen wie Angst, Ängstlichkeit, Traurigkeit, Antriebsarmut, Verhaltens- oder Beziehungsproblemen etc.
Der erstbehandelnde Arzt fragt üblicherweise nicht nach den drei häufigsten Ursachen für diese Probleme: kürzlich erlittener, schwerwiegender Verlust, wiederkehrende Traumata / PTBS und Alkohol- oder Drogenabhängigkeit.
Üblicherweise wird dann nach einer kurzen (von der Versicherung oder staatlichen Fürsorge abhängigen) und oberflächlichen (abhängig von den Fertigkeiten des Arztes) Untersuchung und ohne das Anstellen von Labortests oder körperlichen Checks eine psychiatrische Diagnose gestellt.
Diese Diagnose kann falsch sein, z.B. „Depression“, „Angststörung“, „bipolare Störung“, „ADHS“, „Psychose“ etc.

Zur et al. kritisierten: Das DSM (Anm. der Übersetzerin: amerikanisches Handbuch der Psychologen zur Klassifizierungen von psychischen Störungen) ist mehr ein politisches Schriftstück denn ein wissenschaftliches. Entscheidungen, ob eine Störung in das Handbuch aufgenommen wird oder nicht, werden per Mehrheitsentscheid statt auf zweifelsfreier wissenschaftlicher Basis getroffen.

Aber dieses Vorgehen befriedigt die verschiedensten Schlüsselpersonen: die Krankenversicherung oder die Anforderungen anderer Autoritäten, den Arzt, die Pharmaindustrie und / oder zahlreiche andere Autoritätspersonen (Chef, Bewährungshelfer, Lehrer, Schulverwaltung, Eltern, Familienmitglieder) etc. An letzter Stelle kommt der Patient.

Es wird verkannt, dass die Probleme des Patienten oft trauerbedingt, traumatabedingt oder abhängigkeitsbedingt sind.
Statt dessen wird im Schnellverfahren ein oder mehrere Psychopharmaka verschrieben. Üblicherweise erteilt der Arzt dem Patienten keinerlei Auskunft über die Schädlichkeit oder mögliche Entzugsprobleme des Medikaments und bietet keine Betreuung oder Psychotherapie an (was oft die bessere Lösung wäre).
Bis zu 25 Prozent der Patienten löst, vielleicht ahnend, dass es besser so für sie ist, anschließend das Rezept nicht ein.
Aber bei denen, welche die Medikamente nehmen, treten erste schädliche Effekte wie „medication spellbinding (s.u.)“, chemische Spaltung und Abstumpfung ein, auch wenn der Patient dies vielleicht nicht gleich bemerkt. Ein unvoreingenommener und neutraler Beobachter mag sagen: so weit, so gut.

Früher oder später setzt der Patient das Medikament ab oder vergisst es und dann setzt der schädlichste Effekt der meisten Psychopharmaka ein: die Entzugssymptome.
Wenn die Entzugserscheinungen genug störend sind, kontaktiert der Patient dann normalerweise wieder den verschreibenden Kliniker oder Arzt, welcher die Beschwerden als Entzugssymptome bemerken müsste, es aber häufig nicht tut.
Statt dessen werden die Probleme als fälschliches Wiederauftreten oder Verschlechterung der zugrundeliegenden fehldiagnostizierten Erkrankung gewertet und dem Patient eine höhere Dosis oder ein neues oder stärkeres Medikament verschrieben. Auch hier werden dem Patienten mögliche Entzugssymptome vorenthalten und keine angemessene Psychotherapie oder Betreuung angeboten.

Nun dreht man sich im Teufelskreis. Im Laufe der Zeit wird der Patient immer dysfunktioneller in seinem persönlichen Leben, im Beruf, in Beziehungen, Finanzangelegenheiten und / oder im Verhältnis zum Rechtssystem. Als Teil des DSTS werden Viele körperlich krank, mit einem oder mehreren teuren Besuchen in der Notaufnahme, medizinischer und psychischer Hospitalisierung, Gewalt, Gefängnis, familiären Problemen, zerbrechenden Beziehungen, steigenden Gesundheitskosten und wachsenden Schulden. Manchmal kommen sie, wie viele Alkoholiker oder Drogenabhängigen, an einem absoluten Tiefpunkt an.

Dieses Phänomen, diesen durch ärztliche Fehlgriffe und Psychopharmaka verursachte Prozess, nenne ich das Drug Stress Trauma Syndrome (DSTS).
Drug: die meisten Psychopharmaka
Stress: die Effekte des Nehmens und Weglassens der Medikamente sind große Stressoren
und beeinträchtigen die Lebensqualität des Patienten erheblich
Trauma: der wiederholte Stress und sie Störung der Lebensqualität durch die Medikamente
können traumatisch sein und sind es oft
Syndrome: es gibt ein erkennbares Schema von Symptomen und Anzeichen

Komponenten des DSTS
Teufelskreis
Stress durch schädliche Nebenwirkungen
Störender Entzug
Emotionale Achterbahn
Schlafstörungen
Behandlungsmisserfolg
Mangelnde Unterstützung von Ärzten
Stigma, Scham und Verwirrung
Komplexe Gesichtszüge (s.u.)

Medication spellbinding: die Fähigkeit von Psychopharmaka, die Wahrnehmung des
Patienten so abstumpfen zu lassen, die er die medikamentös
bedingten Fehlfunktionen nicht mehr erkennt und bei den Patienten
manchmal die Fehleinschätzung entsteht, dass es ihnen mit dem
Medikament besser geht als ohne.





Wie verbreitet ist DSTS? Vorläufige Daten
Ich habe keine verlässliche Antwort auf diese Frage. Ich schätze, dass DSTS zwischen selten und bis zu einem gewissen Grad häufig vorkommt.
Aus meiner klinischen Erfahrung heraus könnte es bei mindestens 20 % Langzeit-Psychopharmaka-Anwendern vorkommen. Für verlässliche Zahlen braucht es noch weitere Forschung, Beobachtung und ein weiteres Datensammeln.
Im April 2008 betreute ich auf einem Ein-Tages-Workshop zum Thema Trauma und Heilung 24 Kliniker, darunter Sozialarbeiter, Krankenschwestern, Therapeuten und Berater, 22 Frauen und zwei Männer. Von diesen 24 Personen hatten neun (=37%, acht Frauen und ein Mann) Antidepressiva genommen, davon sechs (=2/3) mehr als ein Medikament. Sieben der neun (=77%) gaben an, dass sie schädliche Nebenwirkungen erlitten hatten, vier (=44%) beklagten unangenehme Absetzsymptome und zwei (=22%) stellten fest, dass es ihnen vor der Behandlung auf lange Sicht besser gegangen war als danach.
Ich fragte sie nicht, ob sie noch andere Psychopharmaka nahmen. Ich glaube, dass bei Antipsychotika, Stimulanzien und Benzodiazepinen ein mögliches Auftreten von DSTS bei mehr als 22% liegt. Bei Antikonvulsiva, bekannt als „mood stabilizers“, und Lithium vermute ich, dass die Quote niedriger als 22% ist.


Charakteristika des DSTS

Das wichtigste Charakteristikum des DSTS ist der oben beschriebene Teufelskreis. Dieser Teufelskreis beinhaltet die Stressoren und den resultierenden Stress der meisten anderen, unten folgenden Charakteristiken:

--> Stress durch die schädlichen Medikamentenwirkungen. Diese könne breit gefächert sein und umfassen oft die folgenden Symptome: „spellbinding“ (s.o.), Verwirrung, Konzentrations- und Denkstörungen, Schlaflosigkeit, Störungen des metabolischen und endokrinen Systems, Gewichtszunahme, Diabetes, leichte Reizbarkeit, Störun-gen der Beziehungsfähigkeit, Verlangen nach Drogen / Medikamenten, Depression, Akathisie (s.o.), Suizidalität, verschiedene Schmerzen, Unfähigkeit zu arbeiten etc. Diese Symptome werden fälschlicherweise als die Rückkehr der ursprünglichen Grunderkrankung missinterpretiert

--> Entzugserscheinungen. Diese Entzugserscheinungen können mit den Nebenwirkungen identisch sein und gleichzeitig den ursprünglichen Beschwerden ähneln, was die Differentialdiagnose schwierig macht

--> Emotionale Achterbahn. Die Person mag (oberflächlich betrachtet) relativ friedlich, zufrieden oder für mehrere Stunden betäubt sein, nur um anschließend in einen Zustand von merklichem emotionalem Stress zu fallen und Verhaltensauffälligkeiten zu zeigen. Diese Erlebnisse können sich noch weiter verschlechtern, wenn entweder eine Dosis ausgelassen oder vergessen wird (üblicherweise Entzug) oder ein „Upper-Downer-Kreis“ angewendet wird, was bedeutet, dass eine Person zum Aufstehen einen „Upper“ wie Coffein, Amphetamine, Stimulanzien oder Ritalin nimmt und zum Einschlafen anschließend einen „Downer“, also ein Schlafmittel.

--> Gestörter Schlaf, welcher meist zu einem schmerzlichen Zustand von chronischem Schlafmangel führt. Als eigenständiger Stressor kann der Schlafmangel selbst den bereits bestehenden akuten und chronischen Stress verschlimmern. Der gestörte Schlaf wird außerdem von einem Upper-Downer-Kreislauf noch weiter negativ beeinflusst.

--> Behandlungsmisserfolg. Das Medikament oder die Medikamente haben oft keinen größeren lindernden Effekt auf die ursprünglichen Symptome des Patienten. Ich habe zahllose Patienten kennengelernt, die sich bei mir beklagten, dass ihnen keines der vielen und verschiedenen Psychopharmaka geholfen hat und dass es ihnen entweder nicht besser dadurch ging oder sogar noch schlechter. Beispielsweise treffe ich regelmäßig auf „depressive“ Menschen, die eine Unzahl an Antidepressiva genommen haben, darunter Fluoxetin, Paroxetin, Sertralin, Bupropion, Venlafaxin, Citalopram, Escitalopram, Desvenlafaxin etc. und es geht ihnen immer noch nicht besser.
Oft geht es ihnen noch schlechter. Einige von ihnen wurden auch auf die noch schädlicheren Antipsychotika gesetzt oder aber es wurden ihnen Antikonvulsiva („mood stabilizers“) , Lithium oder Benzodiazepine verschrieben, alle mit wenig bis gar keinen Gewinn. All diese gescheiterten Medikationsversuche führen dazu, dass die Patienten die Hoffnung verlieren, dass es ihnen jemals wieder besser gehen könnte.

Beispielsweise berichteten David Healy und seine Kollegen von den ersten Ergebnissen einer epidemologischen Studie aus North Wales an einer Bevölkerung, die in den letzten 100 Jahren stabil war bezüglich ihrer Zahl, des Alters, Kohorten, ethnischen Mischung und ländlichen Umgebung.
Es zeigte sich, dass es nach der Einführung der modernen Psychopharmaka in der Psychiatrie einen fünfzehnfachen Anstieg der Einweisungen in stationäre Psychiatrien gegeben hat und einen drei-fachen Anstieg der Zwangseinweisungen in psychiatrische Anstalten.
Ebenso zeigte es sich, dass Patienten mit einer bipolaren Störung öfter und schneller Rückfälle erlitten.
Das sind bemerkenswerte Ergebnisse. Überall gibt es nun Menschen mit psychiatrischen Beschwerden, die wesentlich öfter stationär aufgenommen werden müssen als noch vor 50 oder 100 Jahren, und dies, obwohl es doch eine große Menge angeblich wirksamer und prophylaktisch anwendbarer Psychopharmaka gibt. Diese Ergebnisse sind nicht vereinbar mit der Behauptung, dass die medikamentöse Behandlung psychischer Beschwerden für die meisten Menschen in der Praxis effektiv und hilfreich ist.

Es gibt nur wenig Unterstützung seitens der Psychiater, Ärzte und Kliniker bezüglich anderer, nicht-medikamentöser Hilfen und Heilungsmethoden. Die meisten meiner Patienten berichteten mir, diese Erfahrungen mit anderen Ärzten gemacht zu haben und ich habe es über die Jahre immer wieder selbst erfahren, sei es in Diskussionen mit anderen Ärzten bis hin zu Veranstaltungen zu psychiatrischer Bildung.

Stigma, Scham und Verwirrung sind das Resultat von all dem. Zuerst muss man die Diagnose einer psychischen Störung verarbeiten, bekommt Hilfe versprochen und dann geht es einem trotz der Behandlung mit all den Psychopharmaka nach dem „state of the art“ nicht besser, obwohl man sich aufgrund der Werbung im Fernsehen oder in Zeitschriften Hoffnung gemacht hat (Anm. der Übersetzerin: in den USA ist öffentliche Werbung für verschreibungspflichtige Mittel erlaubt). Diese niederschmetternden Gefühle können die oben genannten Stressreaktionen noch weiter verschlimmern.

Das Entstehen des DSTS kann die zugrundeliegende Grunderkrankung in Form von PTBS, Alkoholismus oder Abhängigkeit von chemischen Stoffen, und weitere Lebensprobleme, noch weiter verschlechtern. Die ursprüngliche Unfähigkeit, das zugrundeliegende Trauma und seine Wirkungen zu erkennen und zu behandeln ist ein Hauptfaktor für das Entstehen eines DSTS.
Die meisten meiner Patienten, die ein DSTS entwickelten, hatten ursprünglich eine PTBS.
So führen die Psychopharmaka, anstatt ihnen zu helfen, bei Menschen mit verkannter PTBS nicht zu einer Besserung, sondern zu einer Verschlechterung in Form eines nun zusätzlichen DSTS. Vielen Menschen mit einer PTBS, die mit Psychopharmaka behandelt werden, geht es durch diese ärztlich verordnete Maßnahme schlechter als zuvor. Man kann davon ausgehen, dass es unter den zig Millionen Psychopharmakaanwendern nicht wenige gibt, deren Zustand sich durch DSTS noch weiter verschlechtert hat.


Heilung des DSTS
Dieses Unterfangen trägt komplexe Gesichtszüge. Dieses schmerzliche Syndrom ist normalerweise nicht leicht zu erkennen und diagnostizieren. Üblicherweise kann es nicht in einem fünf- bis fünfzehn-minütigen Gespräch mit dem Arzt nach einer Medikamentenumstellung erkannt werden, was die von der Gesundheitsversicherungsindustrie aka „managed care“ empfohlene Zeit ist. Wenn in den USA eine staatliche Gesundheitsfürsorge eingeführt wird, könnte das noch schlechter werden. Es braucht viel Zeit, die zahlreichen Dimensionen des DSTS zu erfassen und erfordert eine ausführliche Anamnese des Patienten. Dann wird eine Reihe von Nachfolgeuntersuchungen und Psychotherapie vonnöten sein, koordiniert mit einem Experten in Sachen PTBS und es wird ein schonender und langsamer Entzug der Psychopharmaka erfolgen müssen. Viele Patienten werden nicht im Stande sein zu erkennen, dass es das Medikament ist, dass es ihnen schlechter gehen lässt (siehe oben, „medication spellbinding“)

Für die Person, die DSTS oder ähnliche Symptome hat, muss es wie der Gang durch ein Minenfeld erscheinen, ihre Genesung auszuhandeln. Normalerweise müssen sie sich mit mehreren Personengruppen auseinandersetzen: Ärzte, Krankenversicherung und zahlende Personen, Familie (von der einige es lieber sehen würden, wenn der Betroffene „seelisch krank“ bleibt), Freunde, Gemeinschaften und andere Autoritätspersonen.
Seinen eigenen Weg durch all diese Anforderungen zu finden, erfordert ein großes Maß an Selbstverpflich-tung und Konzentration auf die Genesung, mit lange währender Geduld und Ausdauer.

Einige tausend geschädigte Patienten und ihre Familien haben bereits erfolgreich gegen die Pharmaindustrie geklagt, vor allem, was komplettierte Selbstmorde, Diabetes, Geburtsdefekte und Abhängigkeit betrifft.

Basierend auf meiner langjährigen Erfahrung mit Patienten, die an DSTS leiden, ist das Haupthindernis, überhaupt zu erkennen, dass ein DSTS vorliegt. Eventuell muss es der Patient sogar selbst diagnostizieren.
Der Arzt muss dann dem Patienten helfen, über einen längeren Zeitraum (meist Monate) die Dosis langsam zu reduzieren und die Medikamente dann evtl. absetzen zu können. Falls nötig, sollte der Patient zu einem Psychologen oder fachkundigen Berater überwiesen werden, der sich mit Traumabewältigung und Alkohol- oder Drogenabhängigkeit auskennt.
Der Patient lernt, die seelischen und körperlichen Schmerzen des Entzugs und den Kummer des Traumas besser zu ertragen. Er muss lernen, sich angemessen zu ernähren und ggf. Selbsthilfegruppen wie den Anonymen Alkoholikern u.a. beitreten, und dies alles geduldig und beharrlich über Monate oder manchmal Jahre.


Fragen und Diskussionspunkte
Das DSTS wirft verschiedene Unbekannte und Fragen auf. Diese beinhalten:
Wie oft tritt es auf?
Was ist die Verbindung zu dem Auftreten von DSTS bei einem Patienten mit einer primären Vorgeschichte wiederholter anderer Traumata? Und wie mag diese Vorgeschichte sich auf DSTS auswirken?
Aus Punkt zwei folgend: Wie häufig ist DSTS unter Menschen mit primärer PTBS?

Erstellt man zur Entstehung eines DSTS ein Schaubild bestehend aus einer x-Achse, die von links nach rechts geht und zunehmenden Psychopharmakagebrauch darstellt (links wenig Psychopharmaka, rechts viele Psychopharmaka) und einer y-Achse von unten nach oben, wobei unten geringes, wiederkehrendes psychisches Trauma und oben großes, wiederkehrendes primäres Trauma darstellt, so ergeben sich daraus vier Quadranten.
In den beiden oberen Quadranten wird das primär erlittene, starke Trauma bei einem Patienten mit größerer Wahrscheinlichkeit mit zunehmenden Zeichen und Symptomen einer seelischen Störung assoziiert werden. So wie die aktuelle Situation unseres weltweiten Gesundheitssystems aussieht, werden diese Menschen mit größerer Wahrscheinlichkeit zu Ärzten gehen und von diesen mit größerer Wahrscheinlichkeit Psychopharmaka erhalten. Und diese Menschen, die die meisten Psychopharmaka über die längste Zeit erhalten, werden mit größerer Wahrscheinlichkeit ein zusätzliches DSTS erleiden.

Als Gegenpol dazu werden die Menschen im linken unteren Quadranten (wenig wiederholtes Trauma, wenig Psychopharmaka) mit der geringsten Wahrscheinlichkeit DSTS erfahren.
Für die Patienten im rechten unteren Quadranten (wenig primäres Trauma, viele Psychopharmaka stehen nicht genug präklinische Daten bereit, um verlässliche Aussagen treffen zu können. Weitere Forschung wird hierfür von Nöten sein.

Ebenso tut sich die Frage auf: Wie wirken sich durch DSTS erlittener Stress und weiteres Trauma auf die primäre PTBS aus, die sich nach nach dem ursprünglichen Trauma entwickelt hat und stellen nun ein neues, viertes Trauma dar?
Das erste, ursprüngliche Trauma verursachte PTBS. Das zweite Trauma entstand, als sich diese geschädigten Personen anderen Menschen anvertrauten, die sie eigentlich schützen sollten, sie jedoch zurückwiesen oder nicht ernst nahmen (z.B. Eltern, Elternfiguren, Kliniker). Das dritte Trauma entwickelte sich, nachdem die Traumaopfer als „seelisch krank“ abgestempelt wurden, anstatt adäquat wegen ursprünglicher PTBS, schwerwiegendem Verlust oder schwerer Abhängigkeit behandelt zu werden. Nun erleben sie ein viertes Trauma durch DSTS, inclusive der Verwirrung darüber, dass die angepriesenen Psychopharmaka ihnen nicht helfen konnten und ihren Zustand oft noch verschlechtert haben.

Es ist sehr wahrscheinlich, dass Ärzte und andere professionelle Personengruppen Probleme haben, die Zusammenhänge zu erkennen zwischen erstens: der möglichen Verbindung zwischen erlittenem Primärtrauma und darauf folgender seelischer Störung und zweitens: der Möglichkeit, dass so etwas wie DSTS existiert und es Patienten gibt, denen es durch Psychopharmaka nicht etwa besser geht, sondern schlechter. Meiner Erfahrung nach sind die meisten Ärzte und Psychologen so gestrickt, dass sie Ersteres nicht erkennen und Zweiteres wahrscheinlich ablehnen werden. Stattdessen werden sie immer mehr Psycho-pharmaka verschreiben.


Trauma als Ursache für seelische Krankheit

Verursacht ein kindliches Trauma seelische Krankheit? Wenn wir nur einige wenige Studien hätten mit einer kleinen Anzahl an Forschungsobjekten, die einen Zusammenhang zwischen kindlichem Trauma und seelischer Störung zeigten, würde die Antwort „nein“ lauten.
Dem ist aber nicht so. Wir haben das genaue Gegenteil.

Obwohl zahlreiche Kliniker schon jahrzehntelang darüber spekulierten, hatte man vor 1980 nicht genug Daten beisammen, einen signifikanten Zusammenhang zwischen wiederholtem kindlichen Trauma und späterer psychischer Krankheit herstellen zu können.
Nun liegen die Daten vor. Die Daten sind klar und, für die meisten psychischen Störungen, aussagekräftig. Seit den frühen 80er Jahren wurden Daten angehäuft. Heute, im Jahr 2010, haben wir hunderte veröffentlichte Studien an mehr als 200 000 Traumaüberlebenden, wissenschaftlich basiert und peer-reviewed.
Die zahlreichen Autoren beschränkten sich nicht auf eine kleine Menge an Menschen oder beschränkte Methoden der Studienauswertung.
Stattdessen wurde eine große Anzahl an Studien durchgeführt (über 300), mit einer großen Menge an Untersuchungspersonen (weit über 200 000).
Das macht die Ergebnisse so aussagekräftig.
Außerdem wurden diese Studien von verschiedenen und unabhängigen Studienleitern durchgeführt, die zudem noch aus verschiedenen Ländern kamen und die unterschiedliche Studiendesigns (z.B. prospektive oder retrospektive Studien oder Metaanalysen) und –methoden bei verschiedenen Personengruppen anwandten. Die meisten Studien wurden auch auf mögliche Einflussfaktoren hin überprüft, von den Akademikern Störvariablen genannt.

Bei einigen Studien wurden zwar ungeeignete Kontrollgruppen verwendet (z.B. psychiatrische Patienten statt gesunde Kontrollpersonen), aber dennoch ließ sich ein Zusammenhang zwischen Trauma und späterer seelischer Störung nachweisen.
Hätte man die geeigneten Kontrollpersonen verwendet, nämlich gesunde Personen, wäre der Nachweis noch stärker gewesen.
Die durch Traumata bedingte seelische Erkrankung war in über 300 peer-reviewten Studien replizierbar. Sämtliche durchgeführte Studien entsprachen hohen wissen-schaftlichen Standards inclusive einem bedeutungsvoll hohem odds ratio Ergebnis (= Quotenverhältnis: das Maß dafür, um wie viel größer die Chance in einer Gruppe mit Risikofaktor ist zu erkranken im Gegensatz zu einer Gruppe ohne Risikofaktor) und einem abgestuften Antwortschema in allen Studien, die danach fragten.

Für Depressionen (mittlerweile 327 Studien), Alkoholismus und Drogen- / Medikamenten-abhängigkeit (153 Studien) ist der Zusammenhang mit einem Trauma äußerst signifikant. Für andere Störungen, wie Angsterkrankungen, PTBS, Essstörungen, Psychosen und einige Persönlichkeitsstörungen ist die Evidenz sehr stark. Für weitere Störungen wie Verhaltens-auffälligkeiten, ADHS bei Kindern und ADS bei Erwachsenen, Gewalttätigkeit und das Auftreten von Opferhaltung und Somatisierung (beide letztgenannten sind keine seelischen Störungen, begleiten diese aber oft) ist der Zusammenhang stark.


Schlussfolgerung

Die Wirkungen von Psychopharmaka auf den Patienten sind so häufig und schädigend, dass man sie nicht länger als „Nebenwirkungen“ verharmlosen kann. Stattdessen sollte man sie angemessenerweise als „toxisch / schädlich“ bezeichnen.
Ein DSTS zu erkennen und diagnostizieren, erfordert einen Kliniker, der sich der Existenz desselbigen bewusst ist und geistig offen genug ist, einen möglichen Zusammenhang mit den Psychopharmaka zu erkennen. Der Kliniker muss Transzendenz entwickeln und die Indoktrination der Pharmaindustrie überwinden, dass Psychopharmaka so sicher und wirksam sein sollen wie in der Werbung stets behauptet.

Diese Medikamente sind der Lebensqualität eines Patienten derartig abträglich, dass man die Beschwerden nicht länger als trivial oder unwichtig abtun kann. Stattdessen können ihre schädlichen Wirkungen äußerst traumatisch werden und somit sind die Medikamente selbst Trauma verursachende Stoffe.

Ich hoffe, dieser Artikel und seine Beobachtungen werden Andere ermutigen, sich intensiver mit diesem Sachverhalt auseinander zu setzen.

Re: Medikation als traumatische Erfahrung

Verfasst: 05.04.2016 21:05
von Jamie
Liebe Esperanza :),

vielen Dank für deine unermessliche Geduld und deinen Arbeitseifer.
Wir freuen uns riesig, dass du uns bei der Übersetzung wichtiger Texte aus dem Englischen hilfst; ohne dich sähen wir echt alt aus :hug: .



Über diese Passage von Dr. Whitfield hab ich mich am meisten "gefreut" - nämlich insofern, dass ein Arzt man genau das schreibt, was wir auch immer sagen:
Früher oder später setzt der Patient das Medikament ab oder vergisst es und dann setzt der schädlichste Effekt der meisten Psychopharmaka ein: die Entzugssymptome.
Wenn die Entzugserscheinungen genug störend sind, kontaktiert der Patient dann normalerweise wieder den verschreibenden Kliniker oder Arzt, welcher die Beschwerden als Entzugssymptome bemerken müsste, es aber häufig nicht tut.
Statt dessen werden die Probleme als fälschliches Wiederauftreten oder Verschlechterung der zugrundeliegenden fehldiagnostizierten Erkrankung gewertet und dem Patient eine höhere Dosis oder ein neues oder stärkeres Medikament verschrieben. Auch hier werden dem Patienten mögliche Entzugssymptome vorenthalten und keine angemessene Psychotherapie oder Betreuung angeboten.

Re: Medikation als traumatische Erfahrung

Verfasst: 05.04.2016 23:53
von Lisamarie
Danke Esperanza, ganz lieben Dank für deine tolle Übersetzungsarbeit.
Lg Petra

Re: Medikation als traumatische Erfahrung

Verfasst: 06.04.2016 06:04
von Clarissa
Ganz toll, der Artikel!

Vielen Dank an Esperanza.

Der Artikel ist 2010 erschienen, und weiter werden ungebremst Psychopharmaka verschrieben.

In meinem Bekanntenkreis/meiner Altersgruppe (ich bin Anfang 60) gibt es kaum eine Frau, gleich in welcher Lebenslage, die nicht wenigstens dauerhaft Venlafaxin oder Citalopram einnimmt, oft noch kombiniert mit Sedativa. Irrsinn!

VG von s.

Re: Medikation als traumatische Erfahrung

Verfasst: 06.04.2016 07:59
von Wolke76
Auch von mir ein ganz herzliches Dankeschön für diese tolle Übersetzung. :D :-D

Lieben Gruß
Wolke

Re: Medikation als traumatische Erfahrung

Verfasst: 07.04.2016 10:28
von Sneum
Tausend Dank, Esperanza! :hug:

Habe diesen Artikel interessiert gelesen und werde ihn sicherlich immer wieder lesen, wenn ich moralische Unterstützung brauche!!

Hast Du toll übersetzt!!

LG
Sneum

Re: Medikation als traumatische Erfahrung

Verfasst: 12.04.2016 19:26
von gelblack
Hallo Esperanza

Klasse Übersetzung, ernüchternder Inhalt. Kann einfach nicht nachvollziehen, warum der Pharma Lobby nicht das Handwerk gelegt wird. Bruttosozialprodukt und shareholder value können doch nicht alles sein ... oder vielleicht doch?!

Ich habe gleich mal einen PDF zum Verteilen erzeugt. Übrigens habe ich im www erst vor kurzem eine aufreisserische Werbung von Citalopram gesehen. Werbung geht also doch.

Ich bin jedenfalls verdammt froh das ADFD Forum entdeckt zu haben. Ich will mir garnicht ausmalen wie und wo ich ansonsten unterwegs wäre.

Viel Kraft, Ausdauer und Mut an alle die den Weg des Ausschleichens eingeschlagen haben.

Liebe Grüße
gelblack

Re: Medikation als traumatische Erfahrung

Verfasst: 29.04.2016 10:34
von MorulaMyomatosus
Hallo ihr lieben,

erstmal möchte auch ich mich für die Übersetzung bedanken. Ich habe über das Thema nachgedacht und frage mich, ob mit dem DSTS das gemeint ist, was wir hier als den "Entzug" beschreiben, inklusive Wellen und Fenstern? Oder ist damit die Zeit nach dem Entzug gemeint?

Liebe Grüße

eure Morula

Re: Medikation als traumatische Erfahrung

Verfasst: 29.04.2016 12:09
von LinLina
Hallo Morula,

Ich würde sagen DSTS ist nicht der Entzug an sich, sondern DSTS ist die mögliche Folgeerscheinung von Medikamenteneinnahme und Entzug.

Traumatische Erfahrungen können allerdings die Wellen verstärken und verlängern schätze ich, wodurch wiederum die traumatische Erfahrung verstärkt wird.

Der Entzug an sich sind biochemische Anpassungsmechanismen auf das Fehlen der Substanz, Traumata sind Reaktionen die als Folge von wiederholt schweren Verletzungen auftreten können - wobei der Entzug durchaus eine schwere Verletzung unserer Körperlichen und Psychischen unversehrtheit darstellt.

Wobei es teilweise kaum möglich ist, zu unterscheiden, welche Symptome in welchem Ausmaß noch "reiner Entzug" sind, und welche durch das Trauma verstärkt werden/hervorgerufen werden.

Um das weiter zu erörtern müsste ich weiter ausholen und nachdenken - was ist Trauma überhaupt, was passiert im protrahierten Entzug, usw. Ich denke, beides hat mir dem Kindling-Effekt zu tun - aber letztlich weiß das niemand genau, und man kann nur verschiedene Theorien aufstellen.

Protrahierter Entzug ist aber meiner Ansicht fast nach nie "nur psychisch". Es sind biochemische Regelmechanismen, die aus dem Gleichgewicht geraten sind, durch wiederholten oder einmaligen Entzug einer chemischen Substanz.

Dieses "aus dem Gleichgewicht geraten" kann sich in gewisser Weise selbst verstärken/aufrecht erhalten, so dass der Körper irgendwann auch auf sehr kleine Reize sehr stark mit Entzugssymptomen reagiert - evtl. ist das eine Art Kindling Effekt.

Ein ähnlicher Mechanismus passiert aber auch bei einem psychologischen Trauma. Eine einzelne, extreme Verletzung oder wiederholte Ereignisse führen zu einer hohen Sensibilität gegenüber Triggern, und produzieren starke physiologische Reaktionen.

Langzeit-Entzug könnte man demnach ein "biochemisches Trauma" nennen, was aber nicht mit dem psychologischen Traumata gleichzusetzen ist, und wahrscheinlich auch teilweise andere Strategien (da andere Ursachen) benötigt, um damit umzugehen.

Hinzu kommen natürlich psychologische Traumata, wenn Existenzängste, starke körperliche und psychische Beeinträchtigungen, Verlust von Freundschaften und Partnerschaft usw. hinzu kommen.

Beides Zusammen könnte man als DSTS bezeichnen!?

Das sind so meine Gedanken dazu :wirbel:

Liebe grüße,
Lina

Re: Medikation als traumatische Erfahrung

Verfasst: 29.04.2016 12:57
von Jamie
Hallo,

ich weiß nicht, ob ich es richtig verstanden habe (ich habe bei Esperanza :) Korrektur gelesen), aber für mich kann ich das etwas flapsig auf folgenden Punkt bringen (keine Gewähr, dass es stimmt):

AD und Co einnehmen, Nebenwirkungen erfahren, absetzen, Absetzsymptome erfahren, voller Panik von Arzt zu Arzt rennen, dort keine Hilfe, nicht einmal Verständnis erfahren - ja sogar noch signalisiert zu bekommen, dass man spinnt, weil das nicht sein kann, weitere Medikamente nehmen in der Hoffnung, dass die helfen können, Untersuchungen machen lassen, wo nichts rauskommt, sich durch eine halbe Apotheke nicht verschreibsungspflichter Präparaten und NEM zu futtern, jeglichen Stand im Leben zu verlieren, Arbeit, Familie und Freunde den Bach runtergehen sehen bei einem Gefühlvölliger Hilflosigkeit, immer wieder bei Fachleuten aufzuschlagen, die einem nicht helfen können und nicht ernst nehmen, bei akuten Erkrankungen Medikamente nehmen und bemerken, dass die plötzlich schlimme Nebenwirkungen haben, die man früher nicht kannte, bestimmtes Essen nicht mehr vertragen, nicht mehr das machen können, was man früher gern tat und liebte... und das über viele Monate und Jahre ..... - das ist eine elende Ansammlungen an Traumen, neuen Traumen und Retraumata - und das habe ich mit dem DSTS assoziiert.

Bin mir aber nicht sicher, ob es wahr ist. LinLina hat es professioneller ausgedrückt :)

Grüße
Jamie

Re: Medikation als traumatische Erfahrung

Verfasst: 29.04.2016 13:06
von LinLina
Hallo :-)

Ja, eine gute bildliche Beschreibung - danke Jamie.

Die Frage für viele ist glaube ich, wie äußert sich dann das DSTS, und kann es sein dass das was man als protrahierter Entzug erlebt, nicht allein die Anpassungsmechanismen an das Fehlen der Substanz sind, sondern eben vor allem das DSTS aufgrund der ganzen Verletzungen.

Und wie kann man das Unterscheiden, bzw. sollte man dann nicht noch mehr die Behandlung dieser psychologischen Traumata in den Fokus rücken, um eine Heilung zu unterstützen. Und was bedeutet das für den Umgang mit dem Prozess.

Ich glaube dass es sehr individuell ist, wie groß der Anteil an psychologischen Traumata, und der Anteil der "rein" biochemischen Traumata ist, und auch deswegen gibt es wahrscheinlich sehr unterschiedliche Bedürfnisse, wie die Erfahrungen zu interpretieren sind, und wie man damit umgeht.

Es ist auf jeden Fall ein Gebiet, wo fast noch mehr Forschungs( und Handlungs-)bedarf besteht als bei den akuten Entzugserscheinungen, finde ich.

Liebe Grüße,
Lina