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Pro-Kontra-Debatte: ADs bei leichten Depressionen

Eine Sammlung von Artikeln, die über wissenschaftliche, politische und wirtschaftliche Hintergründe der Behandlung von seelischen Leiden mit Psychopharmaka berichten.
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Murmeline
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Pro-Kontra-Debatte: ADs bei leichten Depressionen

Beitrag von Murmeline »

Es gab eine Wissenschaftliche Pro-Kontra-Debatte in "Der Nervenarzt", Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013 zum Thema:
"Sollten leichte Depressionen ausschließlich psychotherapeutisch behandelt werden?"


Hintergrund der Debatte: Die evidenz- und konsensbasierten Empfehlungen nationaler und internationaler Leitlinien sehen bei leichten depressiven Episoden unter Abwägung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses eine antidepressive Medikation nicht mehr als primäre Behandlungsstrategie vor

Für eine rein psychotherapeutisch Behandlung leichter Depressionen sprach sich aus:
Prof. Dr. H. Schauenburg (Klinik für Allgemeine Innere Medizin und Psychosomatik, Universitätsklinikum Heidelberg), Prof. Dr. T. Bschor (Abteilung für Psychiatrie, Schlosspark-Klinik). Interessenkonflikt. Der korrespondierende Autor gibt für sich und seinen Koautor an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
http://www.deutsche-depressionshilfe.de ... 13_Pro.pdf

Gegen eine rein psychotherapeutisch Behandlung leichter Depressionen sprach sich aus:
Prof. Dr. U. Hegerl (Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitätsklinikum Leipzig)
Der korrespondierende Autor weist für sich und seine Koautoren auf folgende Beziehungen hin: Lilly, Lundbeck, Nycomed, Takeda, Bristol-Myers, Squibb Wyeth
http://www.deutsche-depressionshilfe.de ... Kontra.pdf
-> Link geht nicht mehr hier, hier ein Teiltext: https://www.springermedizin.de/sollten- ... ch/8064498

Das ist ja schonmal ziemlich interessant.


Die Argumente von Prof. Dr. Hegerl, übrigens Vorstandsvorsitzender der Stiftung Deutsche Depressionshilfe, sind folgende, als Einleitung schreibt er:
Bei den hier stattfinden den Entscheidungsprozessen werden je doch oft bedeutsame Faktoren nicht berücksichtigt, die in ihrer Summe zu einer deutlichen Unterschätzung der Wirksamkeit der Antidepressiva und einer Überschätzung der Wirksamkeit der Psychotherapie führen.
1. Studien, in denen Placebos nicht besser wirken als Antidepressiva, würden den Fehler machen, nicht zu berücksichtigen, dass in diesen Studien starke, unspezifische antidepressive Wirkfaktoren zum Tragen kommen würden, die zusammen mit der allein über den Zeitfaktor zu erwartenden Spontanbesserung zu hohen Placebo-Response-Raten von bis zu 50% führen. Diese unspezifischen Wirkfaktoren seien Hoffnungsvermittlung, Zuwendung, Aktivierung und Suggestion. Alle diese Faktoren würden in irreführender und nicht auf den Versorgungsalltag übertragbarer Weise den Behandlungsvorteil des Antidepressivums gegenüber der Kontrollbedingung reduizieren.
--> Er sagt also, dass die Studienteilnehmer so umsorgt werden, dass es ihnen besser gehe auch unter Placebo, was die Wirksamkeit von Antidepressiva in Frage stelle, was aber nicht die richtige Schlußfolgerung sei.

2. Studien, die zeigen, dass es Patienten mit Psychotherapie besser gehe als Patienten in Wartezeit auf Psychotherapie oder in reiner pharmakologischer Behandlung würden den Fehler machen, nicht zu berücksichtigen, dass die Menschen in der pharmakologischer Behandlungsgruppe frustriert seien und negative Gefühle hätten, weil sie nur in einer Kontrollgruppe ohne psychotherapeutische Behandlung seien (was übrgens Versorgungsalltag ist!) und sie deshalb weniger Verbesserung ihrer Symptome aufweisen würden. Diese Kontrollgruppe würde aus diesem Frust heraus die Wirksamkeit der Medikamente schlechter einschätzen. Die Kontrollgruppe mit psychotherapeutischer Behandlung würden zudem aus Tendenz zur sozialen Erwünschtheit und aufgrund der suggestive Wirkung des Therapeuten diesem stets zustimmen, dass das Therapieverfahren hilfreich gewesen sei.

3. Studien, die zeigen, dass es Patienten mit pharmakologischer Behandlung nicht besser gehe, würden den Fehler machen, nicht zu berücksichtigen, dass in die Ergebnisse auch die Personen einberechnet würden, die die Therapie abgebrochen hätten (warum wohl!), und denen es deshalb am Ende der Studie schlechter ginge als davor. Zudem nehme ein beträchtlicher Teil, wenn nicht die Mehrheit der Studienteilnehmer, die Medikamente nur unregelmäßig oder auch gar nicht ein (warum wohl!), was wiederum dazu führe, dass man am Ende natürlich wenig Verbesserung messen könne. Außerdem gäbe es "Profistudienpatienten“, die nicht selten gleichzeitig in mehreren Studien teilnehmen und initial falsche Angaben machen würden, um in die Vorteile einer kostenfreien medizinischen Betreuung oder finanzieller Erstattungen zu kommen. Diese alles führe zu einer Verdünnung des (eigentlich natürlich hohen!) Therapieeffekts von pharmakologischer Behandlung.

4. Argumente, dass Antidepressiva stärkere und gefährlichere Nebenwirkungen als Psychotherapie hätten, wären irreführend, da die Nebenwirkungen von Psychotherapie nicht sorgfältig erforscht und dokumentiert werden würden. Besonders drastisch sei dieses Missverhältnis bei der Frage, ob pharmakologische Behandlungen Suizidalität auslösen könnten. Ähnlich sorgfältige und systematische Analysen zu einer möglichen suizidinduzierenden Wirkung der Psychotherapie würden dagegen fehlen, obwohl es gute Gründe zur Annahme gäbe, dass hier beträchtlichen Risiken liegen könnten, denn schließlich hätten sich 4 von den 42 von Sigmund Freud im Jahre 1898 behandelten Patienten suizidiert.

5. Vorteile der Pharmakotherapie seien der raschere Wirkbeginn und die geringeren benötigten zeitlichen und finanziellen Ressourcen. Auch sei die rückfallverhütende Wirkung der Antidepressiva beträchtlich und vielfach belegt.

Sein Abschlusssatz:
Zusammenfassend möchte ich festhalten, dass die Psychotherapie ohne Frage ein zentraler Bestandteil im Behandlungskonzept für depressiv Erkrankte ist. Die Evidenz für ihre Wirksamkeit liegt aus obigen Gründen jedoch nicht auf dem gleichen Level wie die der Pharmakotherapie, ihre Risiken sind kaum untersucht (z.B. Suizidalität!) und methodische Faktoren führen zu einer deutlichen Überschätzung der antidepressiven Wirksamkeit der Psychotherapie im Versorgungsalltag und einer deutlichen Unterschätzung der der Pharmakotherapie. Es besteht die Gefahr, dass depressiv erkrankte Patienten wirksame Antidepressivabehandlungen vorenthalten werden.

Ich meine, was soll man dazu noch sagen.
Erfahrung mit Psychopharmaka (Citalopram, langjährig Venlafaxin und kurzzeitig Quetiapin), seit 2012 abgesetzt
Hinweis: Das Team sorgt für die Rahmenbedingungen im Forum und organisiert den Austausch. Ansonsten sind wir selbst Betroffene und geben vor allem Erfahrungswerte weiter, die sich aus unserer eigenen Geschichte und aus Erfahrungen anderer ergeben haben.

Dein Behandler nimmt Absetzproblematik nicht ernst? Das geht anderen auch so, siehe hier
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Oliver
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Re: Pro-Kontra-Debatte: ADs bei leichten Depressionen

Beitrag von Oliver »

Moin,
der Ulli mal wieder ... bei dem fehlen mir auch schon lange die Worte - darum jetzt mal hübsche Bilder :party2:

Wenn ich neue Perlen der Weisheit vom Ulli lese dann schlägt mein ...

Bild

... immer ganz doll aus.

Das Problem ist leider, dass ich gar nicht weiß, wo ich anfangen soll, wenn ich da was zu sagen will, weil ...

Bild

:party:
Oliver
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Re: Pro-Kontra-Debatte: ADs bei leichten Depressionen

Beitrag von Oliver »

*räusper*

ich wurde soeben dezent darauf hingewiesen, dass es meinen Äußerungen bezüglich des hochehrenwerten, hochdekorierten, viele wichtige Posten innehabenden Prof. Dr. Ulrich Hegerl an dem nötigen Ernste mangelt. :whistle:

Hegerl und das ADFD - das geht über ein Jahrzehnt zurück und für mich symbolisiert dieser Mann mittlerweile einfach alles, was im Bereich Aufklärung über die Schwächen und Risiken von Antidepressiva in unserem Lande falsch läuft. Er ist bis heute ganz vorne mit dabei, wenn es darum geht, die Bevölkerung immer wieder zu beruhigen und darauf einzuschwören, dass eher noch zu wenige Antidepressiva verschrieben werden und dass die bösen Kritiker den armen Patienten die tolle Pharmakotherapie madig machen.

Was meinem Respekt vor ihm auch nicht zuträglich war, ist die beharrliche Arroganz mit der er die Gemeinschaften von Betroffenen wie z.B. das ADFD komplett ignoriert, selbst, wenn sie wiederholt versuchen, mit ihm in Kontakt zu treten. Jemand der angeblich an der Bekämpfung der Depressionen ein so großes Interesse hat, dass er so ziemlich alle renommierten und mit vielen Millionen unserer Steuergelder unterstützten Projekte angeführt hat und dies bis heute tut, sollte den Anstand haben, sich auch mit den Kollateralschäden seiner Aktivitäten zu beschäftigen. Aber dazu, sein Ding konsequent durchzuziehen und den versammelten Teilnehmern hier im ADFD mal ganz offiziell zu sagen, dass sie sich nicht so anstellen sollen und dass Antidepressiva doch gar nicht abhängig machen, hat es dann leider doch nicht gereicht - das macht er nur, wenn keiner da ist um ihm zu widersprechen - siehe: Absetzprobleme gibt es laut Hegerl nicht

Statt lustige Bildchen zu posten, hätte ich wieder viel zu dem schreiben können, was er da nun wieder von sich gegeben hat, aber was würde das bringen? Ist doch alles schon gesagt ... Fakt ist: wenn die Presse ein Statement zu "Antidepressiva und Abhängigkeit", "Antidepressiva und Suizid", "Antidepressiva und was auch immer" braucht, dann laden sie so Figuren wie den Hegerl ein, die dann immer wieder den gleichen Kram erzählen, bzw. im Angesicht neuer Erkenntnisse immer neue hirnsträubende Verrenkungen vollführen, um wieder auf das gewünschte altbewährte Ergebnis zu kommen. Da kommt man sich vor wie Phil Connors in "Und täglich grüßt das Murmeltier" ...

Seine Äußerungen ernst zu nehmen und sachlich darauf zu reagieren, viel mir schon damals sehr schwer, da sie auch damals schon so offensichtlich all das ignorierten, was seine Fachkollegen die nicht so viele Beratungsverträge haben, in den letzten Jahrzehnten über die Substanzen, die er nicht müde wird in rosigsten Farben darzustellen, herausgefunden haben. Auch davor, gegen die Regeln der Logik zu verstoßen, schreckt der Herr nicht zurück wenn er damit seine Agenda nach vorne bringen kann. Mein persönliches Highlight ist in seinem Statement zur erhöhten Suizidgefahr durch Anitdepressiva zu finden:
In verschiedenen Ländern ist ein Zusammenhang zwischen der deutlichen Zunahme der Antidepressiva-Verschreibungen und Abnahme der Suizidraten gefunden worden. Derartige Zusammenhänge sind kein Beweis für eine suizidpräventive Wirkung der Antidepressiva, sie sind jedoch schwer mit der Vorstellung zu vereinbaren, dass Antidepressiva das Suizidrisiko erhöhen.
Meine Antwort darauf und seine anderen rhetorischen Höhenflüge, kann man hier nachlesen: Suiziddebatte - kommentiertes Statement von Prof. Hegerl

Der Vollständigkeit halber hier noch die weiteren Threads aus dem Jahre 2004: Kompetenznetz Depression verharmlost Probleme mit SSRI, Kontaktversuche mit Schlüsselfiguren zum Thema SSRI (Wir kommen also nun ins elfte Jahr der kompletten Funkstille, der Nicht-Konversation mit Herrn Prof. Dr. Hegerl).

Ich gelobige trotzdem aufrichtigst, in Zukunft zu versuchen, wieder mehr Sachlichkeit in meiner Reaktion auf Äußerungen so wichtiger Meinungsführer wie Herrn Prof. Dr. Hegerl walten zu lassen.

untertänigst
o.
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